Im Nachgang zum Post vom vergangenen Montag: Du, sag ich zum Matthias, erzähl doch mal was aus der Praxis. Deine Besonderheiten, deine „Steckenpferde“ sind ja temperaturgeführte Transporte und Schäden, verursacht durch Migranten. In der Logistik- Lounge ==> http://www.logistik-lounge.com hatten wir die Diskussionen rund um Transporte nach UK schon des öfteren. Worauf so ein BKF alles achten muss… Und der Toilettengang an den letzten beiden Raststätten vor dem Channel, den verkneift man sich da besser.
Wobei: Diese Nettigkeiten kann ja auch auch einen Schwerlasttransport ereilen – die Migrantenproblematik vor der Verschiffung auf die Fähre nach UK betrifft eigentlich alle, die transportieren.

Aber jetzt lasse ich einfach mal den Matthias erzählen, denn SO könnte ich das garnicht herüberbringen 😉
„Historisch bedingt, werden besonders gerade im Norden noch sehr oft Nautiker oder Kapitäne bei Stellenausschreibungen gesucht bzw. diese haben sich, nach dem sie wieder an Land gegangen, sind als Havariekommissare selbständig gemacht. Jedoch nimmt auch die Zahl derer zu, die eine speditionelle Ausbildung haben, oder gänzlich aus einem anderen Bereich kommen. Mir persönlich sind auch Quereinsteiger bekannt, die vorher als Disponenten gearbeitet haben, oder selbst eine Spedition hatten.
Ein eindrucksvolles Beispiel ist ein ehemaliger LKW-Chauffeur, der sich erfolgreich selbständig gemacht hat, und der neben klassischen Besichtigungen auch Gefahrgut aller Art besichtigt, und Zertifizierungen für Gefahrgut und für Transporte von radioaktivem Material hat. Ein anderes Bespiel ist ein ehemaliger Großhändler für Obst und Gemüse, der sich als Havariekommissar selbständig gemacht hat. Hier würde man denken, dass dessen Steckenpferd eben Obst und Gemüse sind, jedoch weit gefehlt: Seine Passion sind Maschinen und Nässeschäden.
Meine Steckenpferde, das sind temperaturgeführte Transporte und Schäden,
verursacht durch Migranten.
Ich persönlich finde, dass für die Arbeit eines Havariekommissars weniger der Titel oder der Studienabschluss zählt, sondern die Motivation, Schäden zu erfassen, das Ganze zu sehen. Also nicht nur den Schaden zu sehen, sondern auch ums Eck denken zu können. Sowie einen aussagekräftigen, und auch für den Nicht- Fachmann verständlichen Bericht zu schreiben. Auch darf die menschliche Komponente nicht fehlen, und der Umgang auf Augenhöhe mit den Beteiligten. Hier sehe ich den Chauffeur, der zumeist einer der ersten Ansprechpartner ist, nicht nur im Lebensmittelbereich, als Ansprechpartner, der mit Respekt zu behandeln ist. Ich habe in einem der Bücher, an denen ich mitgeschrieben habe, folgende Situation beschrieben:
Ein Chauffeur aus Rumänien – wobei es egal ist woher er kommt – bekommt auf dem Großmarkt eine Annahmeverweigerung, da die Ware Frostschäden aufweist. Man stelle sich die Situation des Chauffeurs vor, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Der Empfänger redet auf ihn ein, und sein Disponent will wissen, was los ist, da eine Anschlusstour ansteht. Und dann kommt auch noch ein Havariekommissar. Das ist Stress pur. Wenn jetzt hier noch ein „Krawatten-Sachverständiger“ kommt, wird der Chauffeur dicht machen („nix verstehen“), was zur Schadenermittlung kontraproduktiv ist. Begegnet man den Chauffeur auf Augenhöhe, nimmt ihn ggfs. zur Seite, so wie ich das mache, und trinkt eine Cola mit ihm, wird man relevante Dinge erfahren. Kurzum: Auch Empathie gehört mit zum Beruf.
Die Augenhöhe betrifft aber auch den Umgang mit Bergeunternehmern. Mir selbst wurde bei der Besichtigung einer verunfallten Ladung auf dem Hof des Bergeunternehmers mal gesagt: „Sowas habe ich noch nie erlebt, dass ein Sachverständiger beim Umladen anpackt“. Mein verdutzter Gesichtsausdruck wurde wie folgt beantwortet. „Bisher waren nur welche da, die angeschafft und Fotos gemacht, aber nicht mit angepackt haben“.
Krawatten-Sachverständige halt, ich mag sie nicht und versteh sie nicht, denn nur wenn ich „tief genug grabe“, habe ich ein vollumfängliches Bild. Und das betrifft nicht nur die vollständige Nachvollziehbarkeit des Transports anhand der Dokumente, sondern eben auch die Schäden an der Ware.
Wie man sieht, sind die Aufgaben eines Havariekommissars doch umfangreicher, als so mancher Titel auf der Visitenkarte. Ich sag immer: „Ich bin nur der Sachverständige, und nichts Besonderes.“
Wenn man den Kunden, und nicht den Schaden in den Mittelpunkt stellt, wird man,
die fachliche Kompetenz vorausgesetzt, erfolgreich sein.
Um hier aber kein falsches Bild zu zeichnen: Es ist nicht gemeint, dem Kunden nach dem Mund zu sprechen. Meine Erfahrung zeigt, dass Kunden im Schadenfall schon eine knallharte Analyse und Schadenfeststellung möchten, denn nur so können Schäden in der Zukunft vermieden werden.
Gleiches gilt auch in der Abwehr von unberechtigten Schadenforderungen. Denn oftmals werden Havariekommissare beauftragt, um Beweise zu sichern. Hier hilft es dann nichts, wie ich es bei Kollegen oft erlebe, weichzuspülen und rumzueiern. Der Kunde braucht eine Aussage zur Frage: „Bin ich schuld oder nicht“. Der Havariekommissar hat diese zu liefern, ggfs. vor Gericht.
Des Weiteren muss einem Havariekommissar bewußt sein, dass er auch mit folgendem konfrontiert werden kann: „Ich verklage Sie!“ oder: „Wissen Sie was das kostet?“. Wichtig ist: Darüber muß man stehen. Zu diesem Thema ein Bespiel aus der Praxis, hier aus dem Pharmabereich:
Mir wurde einmal gesagt, „Sie wissen aber schon, dass das Kosten von 700.000 € verursacht, wenn wir das Material nicht verwenden können?“. Ob es der geneigte Leser jetzt glaubt oder nicht, meine Antwort war: „Kein Problem, da Sie eine Forderung von 42.000.000 € in den Raum stellen machen wir das, da muss ich nicht mal mit dem Versicherer Rücksprache halten.“ Schlussendlich konnte das Material verwendet werden. Kosten für den Versicherer? Nur das Honorar des Sachverständigen, das nach Stundenaufwand und Kilometerpauschale berechnet wird.
Anderes Beispiel zum Thema “Schäden durch Migranten“ (Anmerkung der Chronistin: Entsprechende Fotos sind unten in der Galerie zu sehen): In einem Silofahrzeug befanden sich mehrere Migranten, die bei der Ankunft in UK entdeckt wurden. Die Sendung wurde annahmeverweigert, und der Fahrer angewiesen zurück nach Deutschland zu fahren. Auf den anderen Fotos (Geldscheine usw.) wurde die Hinterlassenschaften dokumentiert, die nach dem Ausblasen der Ware im Silo vorgefunden wurden.
Auf den anderen Fotos sind typische Hinterlassenschaften in einen Kühler zu sehen. Die Urinflaschen sind in den meisten Fällen zu finden. Eines der Fotos dokumentiert, dass auch die Ladung mit Urin benetzt wurde. Ein weiteres Foto dokumentiert, dass die Migranten sich auch anderweitig erleichtert hatten, hier in einen Rucksack. Da bei dieser Sendung Urin Kot und Blut im Auflieger gefunden wurde, musste die komplette Sendung als Totalschaden deklariert werden. Warenwert ca. EUR 100.000,00.“
Wenn ich das, was ich jetzt so Matthias aus seinem “Steckenpferd“ in der Havarie-Kommissarerei erfahren haben, Revue passieren lasse: WIE GUT, DASS MAN IM KRAN- UND SCHWERLASTBEREICH DAMIT KEINE PROBLEME HAT! (Oder doch?) Es handelt sich übrigens um mehr als einen dokumentierten Fall, der zur Verfügung gestellt wurde.
Danke für die vielen Informationen, Herr Kommissar 😉
Fotos: alle Matthias Neumeier himself












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